Kollegstufe


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Abiturrede 2008

- Stadthalle Aschaffenburg, 27. Juni 2008 -

Es gilt das gesprochene Wort!

„Verehrte An- und Abwesende!“

„Was für eine ungewöhnliche Anrede!“ mag sich jetzt mancher denken. Aber gibt es bessere Begrüßungsworte als diese, mit denen schon Albert Einstein im Jahr 1930 seine Ansprache auf der Funkausstellung in Berlin begann, gibt es also Worte, die besser für diesen Abend geeignet sind, die aber auch besser zu diesem Abiturjahrgang 2008 passen? Denn noch seid ihr – die Abiturientinnen und Abiturienten – „Anwesende“, Mitglieder unserer Schule, bald schon aber „Abwesende“ – Ehemalige.

Vor einiger Zeit schon habt ihr mich damit beauftragt, heute einen zusammenfassenden Bericht über das – wie ihr es genannt habt – „Experiment Kollegstufenjahrgang 2006-2008“ zu geben.

Mir ist sehr bewusst, dass ich an dieser Stelle ein schweres Erbe antrete und dass ich mich an meinen Vorgängern und Mitstreitern messen lassen muss, die aber als Germanisten sicher über einen gewissen „Heimvorteil“ bei der Erstellung solcher Reden verfügen.

Kurzzeitig zog ich in Erwägung, das Angebot zweier Kollegen aus den Fakultäten Physik bzw. Biologie anzunehmen, als „Ghostwriter“ für mich zu arbeiten. Ich entschied mich aber dann doch dafür, diese Rede selbst zu schreiben. Zu groß war meine Sorge, andernfalls an dieser Stelle über Modelleisenbahnen oder Flugzeuge referieren zu müssen.

Jetzt aber zurück zum Thema, verehrte – im obigen Sinne – noch An- und bald schon Abwesende!

Das, was wir heute hier zum Abschluss bringen, einfach nur ein „Experiment“ zu nennen, ist mir im Grunde viel zu wenig. Umfang und Vorgehensweise legen eigentlich mehr einen anderen Begriff nahe, der in Industrie und Wirtschaft schon längst und in der Schule in den letzten Jahren in zunehmendem Maße Einzug gehalten hat: Solche Großexperimente mit zunächst unbekanntem Ausgang bezeichnet man heutzutage gerne als „Projekt“. Mich selbst muss ich in diesem Sinne ganz einfach zum den Projektleiter ernennen.

Während man umgangssprachlich unter einem Projekt häufig nur ein „Vorhaben mit Entwurfscharakter“ versteht, gehören nach DIN 69901 mindestens drei Dinge dazu: Ein Projekt ist demnach ein Vorhaben, bei dem (1) innerhalb einer definierten Zeitspanne (2) ein definiertes Ziel erreicht werden soll, und das sich (3) dadurch auszeichnet, dass es im Wesentlichen einmalig ist.

Die (1) definierte Zeitspanne, das waren bei uns 3 Jahre Oberstufe, das (2) definierte Ziel: die allgemeine Hochschulreife. Dass (3) das Vorhaben für euch einmalig war, das hat sich am Ende herausgestellt.

Zu einem Projekt gehört aber auch, dass der Weg zum Erreichen des Ziels zunächst eher unbekannt ist. Nun, was diesen Punkt anbelangt, da haben wir Lehrkräfte und vielleicht auch Sie, verehrte Eltern, sicher eine andere Meinung als die Schüler: Uns ist der Weg zum Abitur im Prinzip eigentlich schon bekannt. Nur leider halten sich halt Schüler nur selten an die von uns vorgeschlagenen Wege und gehen gerne ihre eigenen. Und das ist auch gut so, denn sonst würden wir heute Abend nur lauter „Nachahmungstäter“ aus der Schule entlassen. Von einem Abiturienten erwarte ich aber etwas anderes, erwarte ich Eigeninitiative! Dass ihr auch dazu fähig seid, dass habt ihr unter anderem bei der Organisation dieser Abiturfeier, das habt ihr bei der Vorbereitung eures Abschlussgottesdienstes gestern Abend bewiesen!

Worum ging es bei unserem Projekt? Lassen Sie mich zunächst einmal die Rahmendaten abstecken. Falls ich mich im Folgenden zu sehr der Sprechweise der Naturwissenschaften bediene, dann verzeihen Sie mir bitte, aber das ist nun einmal mein Metier. Und durch meinen Vorredner sind Sie darauf ja auch bestens vorbereitet.

In den letzten beiden Jahren waren knapp 60 Versuchsleiter, die bei uns auch Kursleiter genannt werden, tagein, tagaus damit beschäftigt, in 12367 Experimentierstunden (sprich Unterrichtsstunden) 10456 einzelne Messwerte der 114 Versuchspersonen – also Einzelnoten der Kollegiaten – zu ermitteln.
2 Projektleiter (das waren wir Kollegstufenbetreuer) fassten diese Ergebnisse zusammen und erstellten daraus Zwischenberichte (die so genannten Ausbildungsabschnittszeugnisse), führten mehr oder weniger sinnvolle Statistiken über ausgefallene Experimente (d.h. Absenzen), berieten und informierten zudem die Versuchspersonen über die weiteren auf sie zukommenden Experimente (sprich Kurse und Prüfungen).

Überwacht wurde das alles vom Leiter des „Großkonzerns“ Dalberg-Gymnasium Herrn Dr. Bauer und seiner Stellvertreterin Frau Finster, unterstützt von den Mitarbeitern in Schulleitung und Sekretariat und zu jeder Tages- und Nachtzeit von Herrn und Frau Schmidt und ihrem ganzen Mensateam fürsorglich mit einem umfassenden Angebote von flüssigen und festen Nährstoffen versorgt.

Ihnen allen, die sich in den letzten Jahren gemeinsam mit uns Kollegstufenbetreuern um diesen Abiturjahrgang gekümmert haben, danke ich an dieser Stelle ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit! Besonders möchte ich mich aber bei meinem Kollegen, bei dir lieber Günter, und bei meinem Vorgänger, lieber Volker, dafür bedanken, dass ihr mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden seid. Mein Dank gilt auch den Jahrgangsstufensprecher für die Zusammenarbeit und die Unterstützung bei den diversen „Einsammelaktionen“.

Gehen wir nun die einzelnen Phasen des Projekts Abiturjahrgang 2006-2008 der Reihe nach durch.

Die Planungsphase in der 11. Klasse können wir rasch überspringen. Diese wurde von den meisten Schülerinnen und Schülern eher gelassen gemeistert. Allgemeine Informationen wechselten sich mit der konkreten Planung von Einzelexperimenten – also mit den diversen Stufen der Kurswahl – ab.
So richtig ernst wurde es dann im September 2006, als mit dem Eintritt in die K12 die eigentliche Entwicklungsphase des Projekts begann. Wurde einem in den ersten 11 Schuljahren noch alles fein säuberlich von Klassenleitern und Fachlehrkräften vermittelt, so war jetzt plötzlich Eigenständigkeit gefragt. Konnte man in den vergangenen Schuljahren einfach noch in der Masse mitlaufen und kam so schon irgendwie vom Klassenzimmer zum richtigen Fachraum, so musste man sich jetzt auf einmal selbst entscheiden: „Stehe ich jetzt als Erster im Kollegstufenzimmer auf und gelte ab sofort nur noch als Streber oder warte ich lieber noch ein Weilchen und riskiere, dass ich von einem auf Pünktlichkeit pochenden Kursleiter eventuell nicht mehr in den Raum gelassen werde?“  – zugegeben, eine für die weitere Persönlichkeitsentwicklung wichtige Frage, über die sich lange philosophieren ließe.

Schon sehr rasch kündigten sich dramatische Veränderungen an: es zeichnete sich ab, dass der bisherige Projektleiter ausgetauscht werden sollte! Verständlich, dass dies zu einigen Unruhen und Unsicherheiten führte.

Am 16. Februar 2007 war es dann so weit: Projektleiter Teschke musste, durfte oder wollte seinen Posten räumen und konnte in den vorzeitigen Ruhestand gehen – allerdings anders, als das bei Projektleitern in der freien Wirtschaft üblich ist – nämlich ohne eine üppige Abfindung.

Es spielt keine Rolle, warum ausgerechnet ich seine Nachfolge antreten durfte, aber ich betone ausdrücklich, dass es nur ein Gerücht ist, dass die Entscheidung deshalb zu meinen Gunsten ausfiel, weil ich vorher schon über 10 Jahre lang Erfahrung bei der Zähmung der 80 oft sehr störrischen Schulcomputer gesammelt hatte!

Die auf diesen Wechsel folgenden Monate zeichneten sich durch einige kleinere Störungen im allgemeinen Experimentierbetrieb aus. Frischer Wind wehte durch die Räume des „Labors Kollegstufe“. Gleich in der 1. Vollversammlung sahen sich die Kollegiatinnen und Kollegiaten dem für sie völlig ungewohnten Einsatz neuer Medien gegenüber: Computer und – vor allem – Mikrofon, das gab es vorher nicht! Das war bei den Generalaudienzen des Projektleiters Teschke auch völlig überflüssig, ist er doch am Dalberg-Gymnasium nur unter dem Pseudonym „die Stimme“ bekannt.

Fast schon als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte schienen manche Kollegiaten mein Ansinnen zu empfinden, per E-Mail Kontakt mit ihnen aufnehmen zu wollen! Sie weigerten sich wehemend, mir ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen und bis heute habe ich diese noch nicht von allen!

Andere wiederum kamen mit den Neuerungen nur schwer zu recht: Informationen gab es ab sofort auch auf der Dalberg-Homepage. Formulare sollten plötzlich aus dem Internet heruntergeladen und – man höre und staune – am Computer ausgefüllt werden!

Aber ich muss zugeben, auch ich musste hin und wieder zurück rudern. So zeigte sich sehr schnell, dass meine angebotenen Sprechstunden für Kollegiaten völlig überflüssig waren. Nicht etwa, weil es nichts zu besprechen gab, sondern weil diese Sprechstunden einfach nicht angenommen wurden bzw. nicht angenommen werden konnten, weil der Terminplan für die Experimente (also der Stundenplan) zum Teil recht selbstständig verändert wurde.
Im Herbst 2007 musste man dann als Kollegiat das Zählen bis 3 neu erlernen: Auf den neuen Entschuldigungsformularen war nämlich ab sofort an 3 Stellen ein Datum einzutragen:
1. das Datum der Unterschrift – das wurde fast nie vergessen.
2. das Datum der nächsten Schulaufgabe – da haperte es schon bei einigen, die selbst am Tag vor einer Schulaufgabe nicht sicher darüber Bescheid wussten, wann denn die nächste Arbeit zu schreiben war.
Und zuletzt: 3. das Datum der Erkrankung. Gerade hier waren sehr oft meine hellseherische Fähigkeiten gefragt und selbst das Lesen im reichlich vorhandenen Kaffeesatz half nur in den wenigsten Fällen wirklich weiter.
Pure Zeitverschwendung war es, bei den Erkrankten selbst nachzufragen. Ganz im Gegenteil – Zitat: „Herr Gnandt, können Sie mir mal sagen, wann ich krank war?“

Aber: die tägliche Bearbeitung der Entschuldigungen sorgte auch für so manche Erheiterung. Was ist beispielsweise davon zu halten, dass ein Kollegiat als Grund seiner Erkrankung „Vergessen“ einträgt. Was wurde hier überhaupt vergessen? Etwa, warum man krank war oder worin die Erkrankung bestand oder wurde gar vergessen, dass man überhaupt krank war?

Und wie soll man es interpretieren, dass sich eine Kollegiatin im Januar dieses Jahres schon einmal für den 1. August 2008 entschuldigte? Sollte das vielleicht eine Art Rückversicherung sein, falls es mit dem Abitur doch nicht so richtig klappen sollte? Wieder ein anderer ist auf dem besten Weg, direkt nach dem Abitur ins Rentenalter einzutreten: Er verschickt heute schon E-Mails mit dem Datum 2.6.2080!

Sehr plötzlich – und scheinbar völlig ohne Vorwarnung – kam dann der 25. Januar 2008 auf uns zu: der Tag der Facharbeitsabgabe.
Als sehr klug hat sich die Entscheidung herausgestellt, den Abgabetermin auf den Nachmittag zu verlegen. So stand immerhin der Vormittag noch zur Verfügung, um der Arbeit den letzten Schliff zu geben. Und zur Not konnte man ja auch noch mitten in der Unterrichtsstunde aufspringen, zum Computer eilen und rasch das Inhaltsverzeichnis dem eigentlichen Inhalt anpassen oder das vergessene Deckblatt ausdrucken.
Auch die abschließenden Großexperimente im April/Mai 2008 – Abiturprüfungen genannt – kamen für manche Kollegiatin, für manchen Kollegiaten, aber auch für den einen oder anderen  Kursleiter – sehr überraschend und erwiesen sich als große Herausforderung, die noch einmal die Mobilmachung sämtlicher Kräfte erforderte.

Das gemeinsame Training und die Vorbereitung in den Monaten zuvor waren jedoch so gut, dass zumindest dieser Teil unseres Projekts erfolgreich abgeschlossen werden konnte.

Aber war das Projekt als Ganzes erfolgreich? Ich glaube, das wäre zu viel verlangt. Was an Wissen und Bildung bei euch hängen blieb, das wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Aber ich bin da ganz zuversichtlich.

Ein anderes Ziel haben wir mit Sicherheit nicht erreicht: Ich konnte euch nicht oder wenigstens nicht alle davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, wenn man seine Aufgaben pünktlich erledigt, seine Sachen vollständig abgibt oder Geldbeträge zum richtigen Zeitpunkt bezahlt. Zumindest hat mir der „AK Abiball“, aber auch Herr Höfling signalisiert, dass es hier noch einen gewissen Nachholbedarf gibt.

Für mich war es aber trotzdem ein insgesamt erfolgreiches Unternehmen, und das nicht erst seit der letzten Kollegstufenversammlung, seit jenem 3. Juni. Die Spannung an diesem Tag der Notenbekanntgabe war schier unerträglich. Und doch gehört dieser Tag für mich sicher zu den schönsten der letzten Monaten, seit ich die Betreuung dieses Jahrgangs übernommen habe. Ich durfte eure überraschten Gesichter und eure Reaktionen sehen, als ich die Folie einblendete, aus der hervorging, dass alle ohne Ausnahme das Abitur bestanden hatten – und das auf Anhieb, ohne mündliche Zusatzprüfung! Ja ich muss zugeben, ich habe diesen Augenblick genossen und ich genieße ihn heute noch, auch wenn ich vielleicht nur einen ganz kleinen Verdienst daran habe.

Dieses, mein erstes Kollegstufen-Projekt ist nun – fast – abgeschlossen. In den letzten Wochen wurde ich immer wieder gefragt: „Herr Gnandt, was machen Sie jetzt eigentlich die ganze Zeit, wenn Sie keine Absenzen mehr kontrollieren müssen?“. Schade, muss ich dazu sagen. Schade, dass sich in eurem Bewusstsein von den vielen Tätigkeiten eines Kollegstufenbetreuers nur diese eine – leider sehr lästige – Aufgabe festgesetzt hat.

Es gab und es gibt immer noch reichlich zu tun. So mussten die Abschlussberichte, also eure Abiturzeugnisse, erstellt und mehr oder weniger sinnvolle Statistiken für die Projektüberwachungsstelle (das so genannte Kultusministerium) angefertigt werden. Zudem sollte ich ja auch noch reihenweise den fehlenden Unterlagen, Schlüsseln oder Büchern hinterher laufen, die ihr noch nicht abgegeben hattet.

Zu guter Letzt: Zwar ist heute der Abschluss für den Abiturjahrgang 2008. Aber das nächste Projekt, der Jahrgang 2008/2010 befindet sich schon längst in der Planungsphase und ist mit fast 150 Teilnehmern noch viel umfangreicher!

Euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten wünsche ich, dass ihr Erfolg habt bei dem, was ihr euch für eure Zukunft vorgenommen habt. Uns allen aber wünsche ich, dass ihr trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Probleme, die es sicher hin und wieder gab, zumindest später einmal – im Rückblick – die Zeit am „Dalberg“ als eine schöne, als eine fruchtbare Zeit sehen könnt! Und das hoffentlich nicht nur wegen der wenigen Episoden, die ich gerade geschildert habe.

Verehrte An- und sehr bald schon Abwesende: Auf Wiedersehen in der Dalberg-Schulfamilie der Ehemaligen!

Christoph Gnandt

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